Die agile Transformation bedeutet weit mehr als nur die Anwendung agiler Methoden. Sie betrifft die Gesamtorganisation auf allen Hierarchieebenen und in allen Strukturen eines Unternehmens: alle Mitarbeiter, also auch Führungskräfte, müssen sich mit neuen Rollen, Verantwortlichkeiten, Arbeitsweisen, Strukturen und Tools vertraut machen.
Die wichtigsten Erkenntnisse im Überblick
- Organisatorische Agilität kann nicht nur durch Frameworks, Soft Skills oder die Konzentration auf Ergebnisse allein erreicht werden. Sie sind zwar unerlässlich, reichen aber nicht aus. Tailoring und das verinnerlichen des „Inspect and Adapt“ Gedanken ist unerlässlich.
- Die leitenden Rollen müssen konkrete, greifbare Elemente einführen, um einen klaren Kontext, eine Vision zu schaffen, in dem autonome Teams gedeihen können.
- Der Aufbau dieser Vision erhöht ein gemeinsames Bewusstsein, welches hilft, das Alignment in den Teams und der Organisation zu optimieren und gleichzeitig Autonomie zu bewahren. Als Führungskraft müssen Sie nicht jede Entscheidung treffen, aber Sie müssen die Kriterien bereitstellen, mit Hilfe derer die Teams sie zuverlässig treffen können.
- Anstatt „Ressourcen“ (Menschen) zu ersetzen, können wir die Umgebung beeinflussen und eine andere Kultur fördern. Indem wir die Feedbackschleifen verkürzen und die Transparenz erhöhen, steigern wir das allgemeine Bewusstsein und lernen, wie man lernt. Dadurch werden wir schlanker und agiler.
Auch wenn Agilität mittlerweile Mainstream ist, tun sich Unternehmen immer noch schwer mit Veränderungen auf organisatorischer Ebene umzugehen. Die bestehenden agilen Frameworks und deren Skalierung haben bei einer unternehmensweiten Einführung nicht immer zum erwünschten Ergebnis geführt. Im Moment gibt es einen starken Fokus auf Soft- und Sprachkompetenzen, um Managern zu helfen, Führungskräfte zu werden. Doch das ist nicht genug.
Agile wird umgesetzt und obwohl alle Frameworks gesündere und produktivere Beziehungen fördern und unterstützen, verlassen sie sich dabei nicht auf Einzelpersonen. Der Fokus liegt vielmehr auf dem System und der Arbeitsweise. Anders ausgedrückt: Wir müssen das System verbessern, damit Teams und Einzelpersonen gedeihen können, anstatt von ihnen zu erwarten, dass sie sich ändern, um sich der Kultur anzupassen oder sie zu reparieren.
Warum die bestehenden Frameworks nicht ausreichen
Die vorhandenen agilen Frameworks können in zwei Kategorien eingeteilt werden: Spezifisch und Skaliert.
Spezifische Frameworks
Diese Ansätze zielen darauf ab, einen bestimmten Aspekt zu lösen, obwohl sie generisch genug sind, um auf mehrere Branchen und Geschäftsbereiche angewendet werden zu können.
Scrum ist eine Methode, um Lösungen zu entwickeln. Kanban ist eher für kontinuierliche Arbeit geeignet (z. B. Helpdesk oder Support-Team). Design Thinking ist großartig, um neue Lösungen zu erdenken (die wir später mit Scrum aufbauen können). OKRs ermöglichen es uns, mehrere Teams auszurichten. DevOps fördert die teamübergreifende Zusammenarbeit und Automatisierung.
All diese Ansätze basieren auf den gleichen bzw. sehr ähnlichen Prinzipien und sind somit also kompatibel. Aber keiner von ihnen löst alle Probleme, z.B. wie die Teams aufgebaut werden, das Budget zugewiesen wird usw. Und jeder von ihnen scheint den Rest zu ignorieren und überlässt die Nutzung und Integration der jeweiligen Organisation.
Skalierende Frameworks
Auch hier finden wir zwei Typen – Auf der einen Seite diejenigen, die sich nur auf Scrum konzentrieren (LeSS, Scrum@Scale, Nexus, etc.), also bei der Nutzung von Scrum mit vielen Teams helfen, den Fokus aber immer noch auf dem gleichen Punkt bleibt: den Aufbau einer Lösung.
Die andere Gruppe der Skalierungs-Frameworks ist eher unidirektional und top-down ausgerichtet, und es ist manchmal umstritten, wie agil sie am Ende wirklich sind.
„Fragil“ ist der Begriff, der verwendet wird, um eine traditionelle Organisation darzustellen, die, ohne etwas zu ändern, einige agile Teams hat, welche eine andere Arbeitsweise haben. Die Erfahrung zeigt aber, dass es hier zu vielen Reibungspunkten kommt. Frameworks wie Prince2 Agile versuchen hier entgegenzuwirken, garantieren jedoch ebenfalls keinen reibungslosen Ablauf, da die Frameworks einer entgegengesetzten Kultur entstammen.
SAFe ist wohl die gängigste Alternative, aber sie führt viele Rollen und Artefakte ein, was zu einem großen Fokus auf Prozesse führt, anstatt Teams zu befähigen, etwas zu bewirken. SAFe neigt auch dazu, Aspekte zu homogenisieren (wie die Dauer der Sprints oder die Quartalsplanung) und das steht im Konflikt mit dem Risikomanagement aus agilem Blickwinkel. Was das Risikomanagement angeht, fördert SAFe das „Ignorieren von EDA-Kosten“, aber Agile und Lean betrachten sie als Verschwendung und als solche sollten sie entsprechend eliminiert werden. Natürlich kann man dem entgegenwirken wenn wir inkrementell releasen, da die EDA- Kosten tendenziell reduziert werden, aber auch hier ist der kulturelle Aspekt entscheidend.
Jedes Framework, ob spezifisch oder skaliert, wird in seiner Reinform ab einem gewissen Punkt an seine Grenzen stoßen. Wie gehen wir damit nun um?
Die Erfahrung zeigt, dass das richtige Tailoring sehr wichtig ist, was durch den bewusst offen gehaltenen Ansatz vieler Frameworks untermauert wird. Im Scrum Guide 2020 liest man hierzu zum Beispiel:
„The Scrum framework is purposefully incomplete, only defining the parts required to implement Scrum theory. Scrum is built upon by the collective intelligence of the people using it. Rather than provide people with detailed instructions, the rules of Scrum guide their relationships and interactions. Various processes, techniques and methods can be employed within the framework.“
Scrum Guide, November 2020
Das Problem mit den Soft Skills
Soft Skills sind großartig und machen eine Menge Sinn. Je nach Kultur können einige von ihnen einfach als gute Umgangsformen angesehen werden. Überreden und überzeugen, statt Befehle zu erteilen oder entgegenzunehmen. Einladen statt aufdrängen. Zugänglich statt unantastbar. Verletzbar zu sein ist nur ehrlich.
Alle diese Punkte sind wichtig und richtig, aber das bedeutet nicht, dass sie ausreichen, um jemanden zu einer Führungskraft zu machen. Sie runden ein Profil ab, das ist sicher richtig, aber machen alleine keine Führungskraft aus. Sie machen einem zu einem besseren Kollegen, zu einem besseren Elternteil, zu einem besseren Freund. Kurz gesagt, einem besseren Menschen. Sie sind also wichtig, korrekt – aber sind sie ausreichend, um eine Führungskraft auszumachen?
Mit der Expertise im Personalwesen, welche die GPI über die Jahre aufbauen konnte, legen auch wir großen Wert auf Soft Skills, kennen jedoch auch die angesprochene Problematik. Darum meine Empfehlung an Sie: verbalisieren Sie das Thema. Sprechen Sie Mitarbeiter oder Bewerber direkt darauf an, ob sie denn führen wollen. Eine Handlung mit intrinsischer Motivation ist der beste Garant für Erfolg bei selbiger. Visualisieren Sie gleichzeitig, gerne auch mit Unterstützung, welche Attribute erfolgreiche Führungskräfte in Ihrer Organisation haben. Abschließend sollten Sie sich fragen, wie oder ob Sie diese Gespräche aktuell führen? „Inspect and Adapt“ ist auch hier ein probates Mittel.
Eine systemische Sichtweise
Wenn wir eine systemische Sichtweise einnehmen, liegt der Schwerpunkt nicht auf den Individuen und natürlich auch nicht auf den Fähigkeiten. Der Fokus wird auf die Rahmenbedingungen gelegt, und hier kommen wir dem Mantra von Netflix näher: „Lead by context, not control“
„Aligned Autonomy“ – eine Autonomie die sich an der Kultur, der Vision orientiert – wird erreicht, indem man, statt Entscheidungen zu kommunizieren, die Entscheidungskriterien teilt. Denn Teams treffen Entscheidungen in jeder spezifischen Situation, basierend auf gemeinsamem Wissen, Werten und Prinzipien. Kommunizieren Sie also das „Warum“, machen Sie Ihre Entscheidungen noch transparenter und wertschätzen Sie das erhaltene Feedback.
Kurz gesagt, bei einer systemischen Sichtweise geht es darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Teams ermöglichen, sich auf die Wertschöpfung zu konzentrieren. Zu diesen Bedingungen gehören Elemente wie eben diese Transparenz, ein gemeinsames Bewusstsein, gemeinsame Werte und vieles mehr. Sie bedeuten aber auch konkrete, greifbare Aspekte und Elemente. Brauchen Sie konkrete Beispiele? Dann lesen Sie weiter.
Bewusstseinsbildung
Was tun, wenn ein Projekt, das ursprünglich in sieben Monaten abgeschlossen werden sollte, nach 3 ½ Monaten zu weniger als 20% fertig ist. Wie lösen wir das?
Es können viele Maßnahmen ergriffen werden, aber um zu verdeutlichen, was in Bezug auf die Bewusstseinsbildung, der Awareness, getan werden muss, müssen wir visualisieren. Hierzu gibt es unterschiedliche Mittel. Denken wir an DevOps, so ist sicherlich das Value Stream Mapping eines der Probatesten, um unseren Flow zu visualisieren und Engpässe sowie Abhängigkeiten aufzudecken. Dafür müssen wir uns auch nicht im Bereich IT oder gar DevOps bewegen, denn Value Stream Mapping ist nicht branchenspezifisch.
Der Punkt ist, dass durch die Transparenz die gesamte Situation sichtbar gemacht wird. Wir fangen an besser abzuwägen und bessere Entscheidungen zu treffen, denn wir arbeiten dadurch mit empirischen Erkenntnissen. Ein besseres Gefühl für das Gesamtbild, das Big Picture, wird dadurch gefördert oder gar erst entstehen. Man fängt an, sich des gesamten Umfangs bewusster zu werden – wo wir herkommen und was noch fehlt, um dahin zu kommen, wo wir sein wollen. Man fängt an, bessere Kompromisse einzugehen und bei jedem Schritt die richtige Balance zu finden.
So wie wir in Iterationen Produkte entwickeln, um immer wieder unsere Ergebnisse zu überprüfen und Anpassungen vorzunehmen, genauso müssen wir dies auf unsere Organisation als ganzes anwenden. Seien Sie auch hier mutig, schaffen Sie Raum für ein exploratives Vorgehen. Angst vor Fehlern sollten Sie ebenfalls ablegen, denn auch ein Scheitern ist hin und wieder nicht schlimm, kann gerade hier der Lernzuwachs enorm sein. Der Weg zu einer lernenden Organisation ist sicherlich nicht immer ein einfacher, umso wichtiger ist deshalb ein gesundes Maß an Reflexion und die daraus resultierende Bewusstseinsbildung bei der agilen Transformation. Vermeiden Sie in Best-Practices zurück zu verfallen, denn das sind mitunter die Steine auf diesem Weg.
(Falsche) Detailliebe
Ein häufiger Fehler, zu dem manche Menschen neigen, ist die „Präzision“.
Es gibt etliche Probleme, die auf ein unpassendes Präzisionsniveau zurückzuführen sind. Zu viele Details. Mikromanagement. Aufgabenwechsel. Druck von außen. Rechtfertigung von Verzögerungen, indem man Bruchstücke abliefert. Sie kennen sicherlich noch einige mehr. Simplicity – leicht zu verstehen, schlank und dennoch griffig – ist einer der wichtigsten Aspekte, wenn wir Dinge beschreiben, denn es funktioniert einfach nicht, wenn es zu kompliziert ist.
Ebenso müssen wir damit anfangen, Dinge abzuschließen. Sätze wie „das können wir später noch gerade ziehen“ sind ebenfalls jedem geläufig, genauso wie die daraus resultierende Konsequenz. Fragen sie doch mal jemanden: Wenn es zwei Projekte gibt, die zu 90 % fertig sind, das Erste, bei dem 100 % der Module zu 90 % fertig sind, und das Zweite, bei dem 90 % der Module zu 100 % fertig sind. In welchem dieser beiden Projekte würden Sie gerne sein?
Die Anzahl der Personen, die sich für die linke Seite entscheiden, dürfte auch bei extensivem Befragungsaufwand nahezu gegen Null gehen. Erstens bedeutet das Abschließen von Dingen, bevor man neue beginnt, nicht, dass man den Rest völlig ignoriert, und zweitens sollten die riskantesten Dinge früher erledigt und nicht auf das Ende verschoben werden. Das erste Projekt ist der richtige Ansatz.
Denken Sie daran: „stop starting, and start finishing“. Nur 100 % erledigt zählt.
Gemeinsamer Fortschritt
Es ist nicht ungewöhnlich, dass verschiedene Ebenen in der Organisation eines großen Programms in unterschiedliche „Sprachen“ sprechen. Das ist normal und entspricht der Erwartung. Der Detailgrad, mit dem sich das Senior Management beschäftigen muss, kann nicht derselbe sein wie der der Ingenieure und Entwickler, die die Cloud-Infrastruktur der Deployment-Pipeline modifizieren.
Wenn wir jedoch über den Fortschritt sprechen, während die einen über Epics, die anderen über Features, die Implementierungsteams über Stories und die anderen über Tasks sprechen, sollte es nicht überraschen, dass niemand wirklich weiß, wie der tatsächliche Fortschritt aussieht.
Genauso wie es wichtig ist, sich auf den Zeitpunkt zu einigen, an dem der Fortschritt gemessen wird (z.B. beim Deployment in die Produktion, oder wenn es eine bestimmte Änderung, z.B. bei einem Key Performance Indikator gibt), ist es auch wichtig, sich auf die zu verwendende Maßeinheit zu einigen.
Dann haben wir eine gemeinsame Einheit des Fortschritts, die in der Organisation global angewendet werden kann. Und indem wir diesen Fortschritt deutlich sichtbar machen, erhöhen wir das allgemeine Bewusstsein, die Awareness. Dies führt zu einer Geschwindigkeitssteigerung, die durch andere sinn- und zielstiftende Elemente im Kontext der Organisation potenziert werden kann. Dann greift nicht nur sprichwörtlich ein Rad ins andere.
Wie viele Sprachen werden in Ihrem Unternehmen gesprochen? Wie machen Sie Fortschritt sichtbar und sind Sie sicher, dass das auch der allgemeinen Wahrnehmung entspricht?
Ihre agile Transformation
Sie fragen sich wie eine agile Transformation in Ihrer Organisation möglich ist oder wie die nächsten Schritte Ihrer Organisation in ihrer agilen Transformation aussehen sollten? Greifen Sie auf unseren vollen Erfahrungsschatz zurück, lernen Sie uns kennen. Lernen Sie mit definierten Werten und digitalen Strategien die richtigen Entscheidungen zu treffen – Gemeinsam mit uns. Denn wir sind „Empower People“!
Ich verabschiede mich mit einem meiner Lieblingszitate von William James:
„Act as if what you do makes a difference because it does!“
Oliver Endriß