- Anforderungsmanagement in der öffentlichen Verwaltung – Gut Ding will Weile haben!
- Entscheidungsfindung trotz vieler Hierarchie-Stufen in der Behörde
- Management von Erwartungen und Priorisierungen in Behörden
- Der Mensch im Mittelpunkt
- 360Grad-Beratung – passt das in die Behördenlandschaft?
- Verfolgung der Anforderungen sowie deren Veränderungen im Laufe des Systemlaufzeit
- Wie passen „Requirements Management nach IREB“ oder auch „Agilität in IT-Projekten“ in die deutschen Behörden?
Anforderungsmanagement in der öffentlichen Verwaltung – Gut Ding will Weile haben!
Die Digitalisierung schreitet auch in den deutschen Behörden voran. Sicher: schnelle Umsetzungen sind nicht die Regel. Auch die Realisierungen der Fachverfahren im Rahmen des „Online-Zugangsgesetzes“ – kurz OZG –, bei dem alle Bundesländer Deutschlands im Rahmen föderaler Zusammenarbeit gemeinsam IT-Anwendungen realisieren, lassen vielfach noch auf sich warten. Aber warum ist das eigentlich so? Was macht den Public Sector oder zu deutsch “öffentlichen Sektor” so besonders? Sieht es in anderen IT-Projekten der deutschen Behörden ebenso aus? Und was kann man aus Sicht des Anforderungsmanagements in solchen IT-Projekten beeinflussen?
Entscheidungsfindung trotz vieler Hierarchie-Stufen in der Behörde
Mehrstufige Hierarchien und viele Beteiligte verlangsamen oft Entscheidungen in der Behörde bzw. behördlichen Strukturen. Abstimmungsgremien sind definiert, tagen jedoch mit zeitlichem Versatz, der nicht zur eigentlich geforderten (oder nur naiv erhofften) Geschwindigkeit passt. Nicht zuletzt werden Entscheidungen oft durch Gesetze, Verordnungen, Erlasse oder Prüfungsordnungen bedingt – in Rechtsabteilungen erdacht, lange verhandelt und dann erst kurz vor Veröffentlichung kommuniziert und leider oft zu vage formuliert, um direkt sinnvoll zeitnah in betroffenen IT-Systemen abbildbar zu sein. Somit müssen Anforderungen erst „abgesteckt“ und „übersetzt“ werden.
Nicht zu vergessen: Anforderer oder auch Entscheider in Behörden, also die Ansprechpartner der Fachbereiche, sind i.d.R. Experten ihres Fachgebiets, jedoch sind ihre Rollen wenig technisch ausgerichtet. Auch das kann IT-Projekte oder die Schritte im Anforderungsmanagement zusätzlich verlangsamen.
Der Gap zwischen den Systemnutzern einerseits und den Software-Entwicklern andererseits ist also ggf. größer als in anderen Unternehmen bzw. Branchen – und das Anforderungsmanagement damit ein zwingend notwendiger Übersetzer und Mittler in Behörden!
Management von Erwartungen und Priorisierungen in Behörden
Das Anforderungsmanagement in der Behörde muss also Fingerspitzengefühl beweisen, wenn es darum geht, die Bedürfnisse und Erwartungen der Anforderer zu verstehen und diese in sinnvolle Prozesse bzw. Prozess-Schritte und damit Funktionalitäten einer Software zu übersetzen. Was dabei hilft sind sicherlich:
- der gemeinsame Blick in die ggf. bislang bestehende Papierakte,
- der direkte Kontakt zu den zukünftigen Nutzern aber auch Abstimmungsmöglichkeiten mit der Rechtsabteilung, um Klarheit zu gewinnen
- Zuhören, Nachfragen
- das Visualisieren verschiedener Umsetzungsmöglichkeiten (digital oder auch analog) – verständliche Grafiken, Skizzen, grafische MockUps oder aber Listen bzw. Berichte, gefüllt mit Beispieldaten, um technische Details greifbar zu machen
- zeitnahe, kurze Abstimmungen, die auch in Online-Meetings bestens möglich sind, mit Teilen des Bildschirms und „Durchspielen“ von Schritten – um so die oft begrenzte Verfügbarkeit der Ansprechpartner effizient auszunutzen
- das nachdrückliche Einfordern von Entscheidungen, sollten diese nicht getroffen werden,
- Und: vor allem das Vermeiden von IT-lastigen Begriffen innerhalb der Gespräche bzw. schriftlichen Kommunikation und stattdessen Verwendung der Worte und Begrifflichkeiten der Anforderer. Dieses kann helfen, Anforderungen schneller und treffender zu formulieren.
Und unabhängig vom Branchen-Bezug: das Anforderungsmanagement sollte auch durch Vorbereitung von geeigneten Entscheidungsgrundlagen dabei unterstützen, die Umsetzungsreihenfolge durch Priorisierungen der Themenfelder bzw. Funktionen zu avisieren. Denn auch in der öffentlichen Hand sind Ressourcen begrenzt.
Der Mensch im Mittelpunkt
Auch und gerade in solch streng hierarchischen Bereichen wie der öffentlichen Hand ist der persönliche Kontakt wichtig. Eine langjährige Tätigkeit innerhalb der Behörde führt dazu, sich schneller in ggf. bislang unbekannte behörden-spezifische Abläufe einzufinden. Auch neue Themenfelder können durch Kenntnisse der restlichen Systemlandschaft und den komplexen Schnittstellen sowie der allgemeinen gesetzlichen oder auch datenschutzrechtlicher Bedingungen reibungsloser aufgebaut werden. Auch und gerade in der Analyse neuer Anforderungen kann es hilfreich sein, durch langjährige Zusammenarbeit die Personen verschiedener Referate bzw. Abteilungen oder Ämter zu kennen und somit „auf dem kurzen Dienstweg“ Verständnisfragen auszuräumen.
360Grad-Beratung – passt das in die Behördenlandschaft?
Was uns als GPI-Beraterinnen hilft, ist die Möglichkeit, unser Gegenüber – auch weit über das Anforderungsmanagement hinausgehend – zu unterstützen: der umfangreiche Erfahrungsschatz und das breit gefächerte KnowHow auch unserer Kollegen kann punktuell eingesetzt, Hürden senken. Vielleicht kann ein Workshop zur systemischen Betrachtung der Abteilungsstruktur genau dazu beitragen, dass sich „gefühlte Kontrahenten“ anders zueinander aufstellen, eingefahrene Entscheidungsmuster überdenken (á la „das haben wir schon immer so gemacht!“) und damit (wieder) handlungsfähig werden und Konsens-Entscheidungen treffen können (anstelle in Patt-Situationen zu verharren). Das Auflösen belastender zwischenmenschlicher Situationen kann am Ende des Tages auch die Entscheidungsprozesse im Rahmen der Anforderungsaufnahme bzw. der -priorisierung verbessern.
Aber auch Berichte aus anderen Unternehmen („wie haben die das denn gelöst?“) oder Erläuterungen zu Trends („wer braucht denn Agilität oder KI?“) können Aha-Erlebnisse vermitteln – genauso wie kleine Tipps in alltäglichen Fragen der Arbeitswelt, z.B. Hinweise auf unterstützende Tools („vielleicht ja doch mal Mural oder Miro ausprobieren, anstelle von Power Point?“) oder hilfreiche Tricks in Word oder Excel. Hilfreiche Hinweise werden dankend aufgenommen! Und tragen dann sicher dazu bei, die laufende Zusammenarbeit – auch und gerade bzgl. Erwartungs- und Anforderungsmanagement – zu optimieren.
Verfolgung der Anforderungen sowie deren Veränderungen im Laufe des Systemlaufzeit
Die Geschwindigkeit, mit der Anforderungen in Behörden erfasst werden können, hängt von verschiedenen Faktoren ab:
- der Komplexität und dem Umfang des Projekts,
- dem Reifegrad des Fachverfahrens, das digitalisiert werden soll,
- der Anzahl der Stakeholder,
- der Verfügbarkeit von Ressourcen und
- dem Grad der Einbeziehung des Anforderungsmanagements in die direkte Kommunikation der beteiligten Fachbereiche – denn nichts ist aus Sicht des Anforderungsmanagement hinderlicher, als zementierte Erwartungen, die nicht mit dem betroffenen IT-System in Einklang gebracht werden können!
Es ist wichtig, dass dieser Prozess der Anforderungserhebung, -analyse und -dokumentation sorgfältig durchgeführt wird, um sicherzustellen, dass relevante Themenfelder abgebildet werden.
Aber: mit 100%iger Sicherheit werden auch die besten Pläne Veränderungsbedarfen unterliegen: neue Gesetze bzw. angepasste Verordnungen, die kurzfristig geänderte Rahmenbedingungen manifestieren, deren Nicht-Umsetzung in der IT-Landschaft ggf. rechtliche Konsequenzen hätte … die Stolpersteine mögen andere sein – aber wie in jedem Unternehmen der freien Wirtschaft auch: es steht bereits zu Beginn der Projektarbeit in IT-Projekten fest, dass einmal erfasste Anforderungen und umgesetzte Funktionalitäten im Laufe der Projekt- bzw. Systemlaufzeit überarbeitet und den aktuellen Forderungen angepasst werden müssen.
Wie passen „Requirements Management nach IREB“ oder auch „Agilität in IT-Projekten“ in die deutschen Behörden?
Zu erbringende Dienstleistungen in der Behörde müssen i.d.R. über öffentliche Ausschreibungen oder Bieterverfahren eingekauft werden. In Bezug auf ein Anforderungsmanagement werden dabei jedoch selten Zertifikate vorausgesetzt. Warum mag das so sein?
Ein „Requirements Management nach IREB“ bezieht sich auf die Anwendung der Best Practices und Standards des International Requirements Engineering Board (IREB). Diese bieten eine strukturierte Vorgehensweise zur Erfassung, Analyse, Spezifikation und Validierung von Anforderungen in IT-Projekten. Deren Anwendung kann dazu beitragen, die Qualität und Nachvollziehbarkeit von Anforderungen zu verbessern, die Kommunikation zwischen den Stakeholdern zu erleichtern und das Risiko von Fehlern oder Missverständnissen zu reduzieren.
Sollten also Behörden zukünftig Profile mit CPRE-Zertifikaten Ausschau halten?
Und könnte auch die Umsetzung neuerer Projektmanagement-Methoden in diesem hierarchisch strukturierten und bürokratischen Umfeld helfen, die Umsetzung von IT-Projekten zu beschleunigen? Sicherlich herausfordernd, dennoch gibt es einige Ansätze, wie Agilität erfolgreich in Behördenprojekten implementiert werden kann:
- Schulung und Sensibilisierung, um ein Verständnis für die Vorteile und Prinzipien der Agilität zu entwickeln. Ein Umdenken in der Arbeitsweise und eine offene Haltung gegenüber neuen Methoden ist Basis.
- Durchführung von kleinen Pilotprojekten, um Erfahrungen zu sammeln und die Wirksamkeit agiler Methoden in der Praxis zu testen.
- Beibehalten von Kommunikation und Zusammenarbeit aller Beteiligten, denn diese sind auch in agilen Methoden notwendig, um den Projekterfolg zu gewährleisten.
Gelingen kann dies wohl nur, wenn bestehende Prozesse angepasst werden. Um agilen Arbeitsweisen gerecht zu werden, kann es bedeuten, traditionelle Genehmigungsverfahren zu überarbeiten oder flexiblere Entscheidungsstrukturen einzuführen.
Mit der richtigen Herangehensweise und Unterstützung können auch Behörden an sinnvollen Stellen erfolgreich agile Praktiken implementieren und von den Vorteilen profitieren.
Auch im Anforderungsmanagement sollte flexibel das Beste „aus beiden Welten“ kombiniert werden – beispielsweise Anforderungen in Ticketsystemen dokumentieren und mittels Kanban-Board-Mitteln verwalten, ohne jedoch komplette agile Frameworks, wie Scrum, zu leben.
Und: es muss vielleicht auch nicht alles und sofort verändert werden. Lieb gewonnene Strukturen und geübte Abläufe dürfen auch so bleiben – sofern nicht hinderlich – und wertgeschätzt werden. Daher kann es auch als Anforderungsmanager sinnvoll sein, die gegebenen Laufwerks- und Ordnerstrukturen zu wahren, vorgegebene Software zu nutzen, das Sprechen über das „gute alte Telefon“ anstelle von Online-Meetings oder aber auch die Nutzung scheinbar endloser Verteiler in der E-Mail-Kommunikation, um Betroffene zu beteiligen.
Wie geht also gute Zusammenarbeit im Anforderungsmanagement von IT-Projekten der öffentlichen Hand?
Aus Sicht des Anforderungsmanagements eines IT-Projekts im Behörden-Kontext sollte man also die Gesamtheit der betroffenen IT-Anwendung im Blick haben und zusätzlich „rechts und links“ schauen, wie die gesamten Abläufe verbessert werden können. Ein Anforderungsmanagement, das sich nicht nur als helfende Hand versteht oder nur auf Anweisung hin tätig wird, sondern vielmehr proaktiv zugreift und durchdacht umsetzt, menschlich beratend (anstelle besserwisserisch) agiert – sich der Tragweite von Entscheidungen und ggf. der Sichtbarkeit in der Bevölkerung bewusst ist – und verständig und auf Augenhöhe mit den Behörden-Mitarbeitern arbeitet, kann die Behörden dabei unterstützen, Schritt für Schritt eine funktionierende IT-Landschaft aufzubauen.
Autorin: Susann Pierstorf
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