Metriken – Wie messe ich agilen Erfolg? Ein Blick aus der Praxis
Als agiler Coach in der Rolle des Release Train Engineer (RTE) im SAFe-Framework in der Automobilbranche hatte ich die Aufgabe, die Erfolge und Produktivität unserer internationalen Teams sichtbar zu machen. Schnell wurde mir klar: Die Zahlen erzählen eine Geschichte – aber nur, wenn man sie richtig liest.
Ein Beitrag über Zahlen beginnt natürlich mit ein paar Zahlen – Laut dem “State of Developer Experience 2024” von Atlassian:
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38 Prozent der Organisationen messen Arbeitsstunden – aber ganze 69 Prozent der Entwickler geben an, dass sie über 20 Prozent ihrer Zeit mit Ineffizienzen verschwenden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: wenig Sinn und Mehrwert in Routinen, unklar gelebte agile Strukturen, zu wenig Zeit fürs eigentliche Coden, bürokratische Prozesse, IT-Sicherheitsauflagen, fehlende Mitarbeiter:innen, Lizenz- oder Zugangsprobleme. Entscheidend ist demzufolge nicht die Summe der Arbeitsstunden, sondern der Outcome jedes Sprints und seine Folgen und Ursachen.
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55 Prozent der Führungskräfte halten Metriken für unwirksam. Gründe: Es sind nicht “ihre” Kennzahlen. Oft sind sie den Führungskräften nicht genau genug, um zu intervenieren/ einzugreifen. Agile Metriken sind jedoch in erster Linie für Teams gedacht – nicht, um Management-Entscheidungen über Einzelpersonen zu treffen.
Typisches Zitat: „Aber da sehe ich doch gar nicht, was Mitarbeiter XY in der ganzen Zeit gemacht hat.“ -
Auch Story Points pro Sprint werden häufig als Produktivitätsmaßstab eingesetzt. Sie werden jedoch von 55 Prozent der Führungskräfte ebenfalls als unzuverlässig angesehen. Grund: Story Points sind Planungsgrößen für Product Owner, keine Messwerte für Leistung. Sie verdeutlichen lediglich, welcher Mehrwert durch Inkremente entsteht.
Diese Zahlen zeigen: Viele etablierte Metriken schaden mehr, als dass sie nutzen – sie messen nicht das, was wirklich wertvoll ist, sondern schaffen oft falsche Anreize.
Welche Metriken gibt es, was bedeuten sie und wie werden sie gelesen und angewendet?
Schauen wir uns im Folgenden einmal verschiedene Metriken und ihre Anwendung genauer an:
Velocity
Zahl der Story Points pro Iteration
Lesen: Schwankungen deuten auf Überlastung oder Unklarheiten hin.
Anwendung: Planungshilfe, keine Leistungsbewertung. Defects zählen gegen die Velocity und machen sichtbar, dass Bugfixing Kapazität bindet.
Predictability Measure
Verhältnis von geplantem zu geliefertem Wert pro PI
Lesen: Werte zwischen 80–100 % sprechen für realistische Planung.
Anwendung: Grundlage für Gespräche bei Abweichungen. Fokus: Ursachen statt Schuld.
Time in Status
Verweildauer eines Inkrements in Workflow-Status
Lesen: Zeigt, wie lange Arbeit in bestimmten Prozessschritten liegt.
Anwendung: Gesprächsanlass bei Abweichungen – wo hakt es?
Lead Time / Cycle Time
Dauer von Beginn bis Auslieferung
Lesen: Lange Durchlaufzeiten weisen auf Engpässe hin.
Anwendung: Ursachenanalyse, z. B. Entscheidungsgeschwindigkeit.
Business Value Delivered
Bewertung des Kundennutzens
Lesen: Sichtbar wird der tatsächliche Wert, nicht die Menge.
Anwendung: Fokus auf Outcome, nicht Auslastung.
Team- oder ART-Health Assessments
Selbsteinschätzung
Lesen: Trends über Zeit sind aussagekräftiger als Einzelwerte.
Anwendung: Soft-Faktoren erkennen, die sonst unsichtbar bleiben.
Kumulatives Flowchart
Lesen: Zeigt, wie Arbeitselemente durch Workflow-Stufen fließen und Engpässe sichtbar werden.
Anwendung: Regelmäßig aktualisieren, im Team lesen, Trends statt Einzelpunkte betrachten, kombinieren mit Metriken wie WIP-Limits oder Lead Time.
Einsatz von Metriken – und die Rolle des Agile Coach
Metriken können aber auch schaden. Teams laufen Gefahr, für die Zahl zu optimieren statt für den Wert. Entsteht dabei ein Klima der Angst, werden Probleme verschleiert, anstatt offen angesprochen zu werden. Psychologische Sicherheit schwindet, Lernen bleibt auf der Strecke. Hier kommt die Rolle des Agile Coach ins Spiel. Er übersetzt Zahlen nicht nur, sondern macht aus Daten Erkenntnisse und aus Erkenntnissen Veränderung. Seine Aufgabe ist Aufklärung statt Kontrolle. Er erklärt Führungskräften, dass Metriken nicht dazu dienen, Mitarbeiter zu bewerten, sondern Systeme zu verbessern. Er baut Brücken zwischen Management und Teams und schafft Räume, in denen Metriken Neugier und Dialog fördern, statt Angst und Misstrauen. Und er richtet die Diskussion immer wieder auf das Wesentliche: Nicht Output, sondern Outcome zählt.
Gefährlich wird es, wenn Metriken zur Bewertung einzelner Mitarbeiter oder zum Vergleich von Teams missbraucht werden. Wer Story Points gegeneinander aufrechnet oder ohne Kontext vergleicht, fördert Konkurrenz statt Zusammenarbeit. Sinnvoll ist dagegen, Metriken als Spiegel zu nutzen: Sie beantworten konkrete Fragen, zeigen Muster und regen zum Lernen an. Entscheidend ist, immer zu klären, warum überhaupt gemessen wird – und welchen Wert die Erkenntnisse stiften.
Meine 7 Tipps für Führungskräfte
Führungskräfte sollten nicht:
- Bewerten anhand von Story Points pro Entwickler.
- Vergleiche zwischen Teams ohne Kontext ziehen.
- Metriken zur Steuerung statt zur Erkenntnis nutzen.
Was ich ihnen mitgebe:
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Metriken sind Spiegel, keine Waffen.
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Messung ohne klare Frage bleibt nutzlos. Warum messen wir XY?
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Ergebnis statt Beschäftigung: Wir wollen Wert, nicht nur Zahlen.
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Förderung einer Kultur des Lernens statt des Bewertens.
ZUM SCHLUSS EINE ERFOLGSSTORY
Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie eine klare Metrik echten Nutzen bringt: die Zero Bug Policy. Hier gilt der Grundsatz, dass Fehler sofort behoben oder zumindest eingeplant werden. Jeder Bug wird wie eine reguläre User Story behandelt – mit eigener Definition of Done, Schätzung und Platz im Backlog. Teams entscheiden, ob sie ihn sofort oder im nächsten Sprint lösen. Continuous Integration und automatisierte Tests helfen dabei, neue Fehler schnell zu erkennen.
So entstehen keine verdeckten Fehlerberge. Die Codebasis bleibt stabil, Nacharbeiten werden billiger und Stakeholder erhalten nicht nur neue, sondern auch zuverlässig funktionierende Features. Entscheidend ist die Kultur dahinter: Qualität hat Vorrang vor Geschwindigkeit. Anstatt am Ende aufwändige Quality Meetings durchzuführen, schaffen Teams Transparenz und Vertrauen.
Der Agile Coach begleitet diesen Prozess, indem er vermittelt, dass Qualität eine gemeinsame Verantwortung ist, und das Management davon überzeugt, dass Fehler keine Nebensache sind, sondern Hinweise auf systemische Probleme. Er sorgt für Transparenz, unterstützt bei Automatisierung und Teststrategien und macht so den Wert der Zero Bug Policy sichtbar.
Wichtig dabei ist die Rolle des Agile Coaches / RTE:
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Kultur schaffen: Vermitteln, dass Qualität eine Teamverantwortung ist.
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Management aufklären: Bugs sind kein „Nebenprodukt“, das man einfach ignorieren kann – sie zeigen System- und Prozessprobleme.
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Transparenz fördern: Aufzeigen, wie viele Bugs sofort behoben werden und welchen Einfluss das auf Velocity und Planbarkeit hat.
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Enablement: Teams bei Automatisierung, Definition of Done und Teststrategien unterstützen.
Mein Fazit
Zahlen können mächtige Wegweiser sein – aber nur, wenn wir verstehen, wollen was wir sehen. Eine statische Kennzahl wie die Atlassian-Studie zeigt klar: Viele vermeintliche Agile-Metriken messen nicht, was sie sollen, und schaden dem Produkt und den Teams. Als Agile Coach ist es meine Aufgabe, diese Diskrepanz zu beleuchten, Gespräche zu ermöglichen und Führungskräfte auf einen Weg zur systemischen, wertorientierten Nutzung von Metriken zu führen.
Metriken messen – ja. Aber richtig. Und im Sinn echten, gemeinsamen Lernens und Wachsens.
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AutorIn
Sebastian Tetschke
Berater Agile Methoden & Teamcoach bei GPI Consulting GmbH